Die Waffenübung 2021 ist beendet und ihr Verlauf hält bei höheren militärischen Ebenen nun Einzug in Berichten und Analysen voll kritischer Würdigungen.
Bericht: Oberleutnant Clemens Gößl
Und den meisten Beteiligten bleibt sie in Erinnerung als zwiespältige „Auszeit“ vom zivilen Alltag. Als eine Zeit, in der die alte militärische Ausrüstung wieder frische Tagesluft schnupperte; in der den Füßen, nach einigen ungewohnten Kilometern Marsch, wieder die Unbequemlichkeit militärischer Stiefel in Erinnerung gerufen wurden; in der zuweilen alle gleich in grün gekleidet in Reih und Glied der nächsten Dinge harrten; in der die Hände fast in romantisch-vertrauter Art um das Griffstück einer Waffe fassten. Eine Zeit als Soldat. Eine Zeit, in der für viele das Warten auf den nächsten Auftrag eine altbekannte, fast öde Routine war – während andere vor Stress nicht zur Ruhe kamen. Eine Zeit, in der man trotz Dienstschlusses keine „Freizeit“ hatte – natürlich unmöglich angesichts beengter Schlafsäle ohne „Freiraum“ – aber allen ist klar, dass es das nicht braucht. Eine Zeit, in der täglich die altvertraute (beinahe) immer gleiche Kaltverpflegung zerkaut wird – eine klassische Zeit als Soldat. Ja, es war anstrengend. Und das nicht nur wegen dem Tragen, Putzen, Ziehen, Marschieren, schweigenden Stehen in der gleißenden Sonne und dem Ordnung halten in der Unterkunft. Es war auch anstrengend, weil im Trubel von Kurz-Übungen den Soldaten keine Möglichkeit gegeben wird, sich im militärischen Gefüge zu akklimatisieren, sich einzufügen, das verstaubte militärische Wissen aufzufrischen und in ihre Rolle zu finden, das heißt, die Verantwortung zu erkennen und auszufüllen, die ihre Funktion eigentlich von ihnen verlangt. Dafür bräuchte es weitaus längere Übungen. Ja, für viele ist die mit sechs Tagen viel zu kurze Waffenübung tatsächlich mehr eine Art „Urlaub“ und weniger ein Dienst, der – gerade weil wir keine eingespielte Truppe sind – eigentlich eine hingebungsvolle Selbstlosigkeit erfordert. Und das alleine schon aus Solidarität mit dem Kameraden neben einem, der auch schlafen oder eine gereinigte Toilette aufsuchen möchte. Jene Kameraden, die letztes Jahr gemeinsam für drei Monate im SihPolAssE an der Grenze waren und lange Zeit nicht die Annehmlichkeiten eines auf einen gleichmäßigen Tagesrhythmus ausgerichteten Erwerbs und Freizeitlebens genießen konnten, wissen noch zu gut, was gemeint ist: Alle müssen im Sinne des Ganzen handeln, damit es alle auch bis zum Schluss aushalten. Was nehmen wir also aus der Übung mit? Die Erinnerung an die selbstverständliche, fast permanente Müdigkeit? Die Erinnerung an suboptimale Prozesse? Dass eh alles – wie immer – perfekt gelaufen ist? Dass viele von uns, von einem unter Umständen bereits leicht zugedeckten Idealismus bewegt, eigentlich mehr machen wollen, jedoch auf Grund bekannter Mängel, die nicht näher dargelegt werden müssen, daran gehindert werden das zu üben, worauf es eigentlich ankommt: Das militärische Handwerk; die Befähigung zum Kampf! Ja, eine Übung soll anstrengend sein, wenn man ihren Zweck ernst nimmt. Der AssE- Einsatz war es auf seine Art auch und der „echte Einsatz“ wäre – ohne Dienstplan und Schichtbetrieb – noch weit, weit anstrengender. Soldat zu sein ist keine angenehme Angelegenheit, weshalb wir auch an uns arbeiten müssen, stetig besser zu werden – jeder einzelne in seiner Funktion -, sodass wir zu einem funktionierenden Gefüge zusammenwachsen können. Denn keiner kann versprechen, dass der verträumte Frieden unserer Zeit für immer Teil unseres bequemen Daseins bleiben wird. Jugoslawien, Ukraine, Libyen oder Syrien mahn(t)en die sicherheitspolitisch Aufmerksamen.
Viele von uns fragen sich – insbesondere während laufender Übungen – warum sie sich das eigentlich antun. Man verdient oft keinen Cent mehr als im zivilen Leben, schläft jedoch weit weniger, kann seinen gewohnten Freizeitaktivitäten nicht nachgehen und muss – zum Gehorsam verpflichtet – einer Funktion gerecht werden, für die man nach ernsthaften militärischen Maßstäben oft nicht die eigentlich erforderliche Erfahrung besitzt. Gibt es als Lohn die gewünschte Anerkennung (insbesondere der Gesellschaft), die man sich erhofft? Braucht es Dankbarkeit für jene, die sich hingeben? Braucht es überhaupt noch Menschen, die in schweren Zeiten selbstlos und opferbewusst Schild und Schwerter tragen? Auch ich frage mich das natürlich regelmäßig und komme immer aufs Neue zu dem selben Schluss: Ja, selbstverständlich! Trotz aller Mängel an Gerät und Zeit; trotz aller Leichtfertigkeit bei Befreiungen; trotz aller widrigen Umstände: Ich bin gerne Milizsoldat. Denn es sind die Taten der Krieger, welche die Welt am eindrucksvollsten prägen! Sie hinterlassen die tiefsten Fußabdrücke in der Geschichte und können – auch mit Gewalt – die großen, weichenstellenden Entscheidungen erzwingen. Ihr tapferes Handeln schafft Heldenmythen und gibt der Selbstlosigkeit seine höchste Bedeutung! Ihr starkes „Vorwärts“ überholt die Zaudernden und gibt jenen Zuversicht, die in turbulenten Zeiten nicht mithalten können. Ich bin daher trotz allem jedes Mal ein Stück weit stolz die Unform zu tragen und unter die Fahne zu treten. Wenn wir also nach vorne blicken, sollten wir auch zwischen den Übungen im Bewusstsein verbunden bleiben, dass eines Tages das Herauskramen des verstaubten Ranzens nicht dem Absitzen einer weiteren lästigen Übung dient, sondern den Auftakt zur Feuertaufe einleiten könnte. Nehmen wir also – auf allen militärischen Ebenen – unsere Rolle als Soldaten und den Zweck unserer Übungen ernst. Sonst wird es im Ernstfall nicht die Zeit geben, Versäumtes nachzuholen.